Eritreas einzigartige Musik - Wie Songs die Geschichte des Landes erzählen
Das ist der Beginn einer Entdeckungsreise, in diese unbekannte musikalische Landschaft, die in keiner Weltmusikabteilung eines Plattenladens zu finden ist. Die Musik dieses kleinen Landes am Roten Meer erzählt mir seine turbulente Geschichte. Jede Phase, jedes Ereignis hat einen eigenen Song ...
Zum Werk
Von der Kolonialzeit über den zweiten Weltkrieg, der Gründung der UN und den wechselnden Allianzen während des kalten Krieges bis zum Post-Kolonialismus und seinen Unabhängigkeitsbewegungen: alle weltpolitischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts haben Eritrea direkt betroffen und Spuren hinterlassen. Eine der ersten Beschlüsse der Vereinten Nationen machte die ehemalige italienische Kolonie zu einer Provinz Äthiopiens, das mal mit Hilfe der USA, dann der Sowjetunion in einer 30-jährigen Auseinandersetzung erfolglos versuchte, die Annexion militärisch durchzusetzen. Die Italiener hinterließen ein architektonisches Weltkulturerbe, die US-Soldaten brachten mit dem Horchposten "Kagnew Station" amerikanisches Radio in die Hauptstadt Asmara. Nach einem 30-jährigen Kampf errang Eritrea 1991 die Unabhängigkeit. Musik begleitet das Leben der Eritreer, gerade die Geschichte des Unabhängigkeitskampfes hat sich hier intensiv abgebildet. Die Musiker sind das Herz und die Seele Eritreas.
Kalle Aldis Laar reiste mehrfach nach Eritrea und interviewte zahlreiche Musiker, sprach mit Musikologen und forschte in Archiven. Mit Hilfe ausgewählter Songs und Gesprächsausschnitten nähert er sich in diesem Feature der eritreischen Geschichte an.
Erstausstrahlung:
10. Oktober 2020, 13.05, Bayerischer Rundfunk BR2
Link zum Feature:
www.br.de/mediathek/podcast/radiofeature/eritreas-einzigartige-musik
Mehr Infos:
www.soundmuseum.com/kl/projekte/Eritrea
Link zur Fotogalerie:
www.soundmuseum.com/Eritrea/
Im Oktober 2020 wurde das Feature von einem in Nürnberg lebenden eritreischen Youtube Blogger gehört. Er übersetzte und bebilderte eine kondensierte Fassung davon in eine der eritreischen Hauptsprachen Tigrinya.
Link zum YouTube-Video:
www.youtube.com/watch?v=ktudmIEkfYo&feature=youtu.be
Zur Recherche
"Seit meiner ersten Ankunft in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, vor fast zehn Jahren fasziniert mich die überaus wechselvolle Geschichte dieses Landes. Inzwischen lande ich hier zum fünften Mal. Und ich versuche immer noch, genauer zu verstehen, wie das große weltpolitische Theater des 20. Jahrhunderts Einfluss auf die Geschicke und das Territorium Eritreas genommen hat. Vom Kolonialismus über den Kalten Krieg bis heute.
Jedes Jahr fliehen tausende Eritreer aus ihrer Heimat. Vielen bietet das Land keine Perspektive, es gibt willkürliche Verhaftungen, unbefristeten Militärdienst und die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Eine Ausreise ist nur möglich mit besonderer Genehmigung. Lange Zeit war man verstrickt in einen aufreibenden Grenzkonflikt mit dem Nachbarland Äthiopien.
Trotzdem zieht es mich hierher. Ich muss zugeben, dass ich mich verliebt habe in diese unglaubliche Stadt Asmara, in ihre Bewohner. Und in ihre Musik.
Bei einer Tanzparty höre ich zum ersten Mal eine elektrisch verstärkte Krar, und der Sound haut mich fast um. Dieses eigentlich uralte traditionelle Instrument, das wie ein U geformt ist und einer Leier ähnelt, klingt hier nach Rockband. Und die Verzerrung ist durchaus nicht einer etwa minderwertigen Anlage geschuldet, wie ich gleich in spontaner westlicher Überheblichkeit vermute. Vielmehr stellt der Sänger und Krar-Virtuose seinen Sound genau so ein, wie er ihn haben will.
Das ist der Beginn einer Entdeckungsreise, in diese unbekannte musikalische Landschaft, die in keiner Weltmusikabteilung eines Plattenladens zu finden ist. Die Musik dieses kleinen Landes am Roten Meer erzählt mir seine turbulente Geschichte. Jede Phase, jedes Ereignis hat einen eigenen Song ..."
- Kalle Laar (*1955 in Kempfenhausen) ist Klangkünstler, Komponist, Hörspielautor und DJ lettisch-estnischer Abstammung. Er studierte Mittelalterliche Geschichte und Wissenschaftsgeschichte an der LMU München. Ab 1989 ging er mit dem japanischen...