Steffen Moratz

Rutkas Tagebuch – Nach den Aufzeichnungen der Rutka Laskier

2010 | Hörfunk

„…weil man trotz all dieser Grausamkeiten leben will und den nächsten Tag erwartet.“

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Hörbild aus Tagebuchnotizen von 1943 und Originaltondokumenten aus 2010.

„…weil man trotz all dieser Grausamkeiten leben will und den nächsten Tag erwartet.“ (Rutka Laskier, Tagebucheintrag vom 20. Februar 1943)

Im Jahr 2006 wurde in einem kleinen polnischen Verlag das Tagebuch des 14-jährigen jüdischen Mädchens Rutka Laskier (1929-1943) aus Będzin veröffentlicht. Damit gelangte ein zeitgeschichtlich bedeutendes Dokument erstmals an die Öffentlichkeit. Über 60 Jahre wurde es von Stanisława Sapińska, einer ehemaligen Freundin Rutkas, die bis heute in Będzin lebt, aufbewahrt. Rutka übergab es der Freundin vor ihrer Deportation ins Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau.

Erst 63 Jahre später entschloss sich Stanisława Sapińska, es Adam Szydlowski vom Jüdischen Kulturzentrum Zagłębie zu übergeben. Von hier aus gelangte es wenig später zu Zahava Scherz, der in Tel Aviv lebenden Halbschwester von Rutka. Rutkas Vater hatte, als einziger Holocaust-Überlebender der Familie Laskier, nach dem Krieg in Israel eine neue Familie gegründet.

Rutkas Tagebuch enthält Einträge aus der Zeit zwischen dem 19. Januar und dem 24. April 1943, die sie in Będzin, einer kleinen Stadt in der Nähe von Katowice gemacht hat. Im Herbst 1939 musste die Familie Laskier gemeinsam mit anderen jüdischen Familien der Stadt ihre Wohnung zwangsweise verlassen. Im April 1943 wiesen die Hitlerdeutschen die Familie Laskier in das Ghetto Kamionka ein. Einige Tage vor diesem Datum brechen die Eintragungen in Rutkas Tagebuch ab. Rutka ist vermutlich nach der Deportation zusammen mit anderen Familienmitgliedern im 40 Kilometer entfernten Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ermordet worden.

In Rutkas Tagebuch wird das ganz normale Gefühlserleben eines pubertierenden Mädchens mit dem Grauen und den Todesängsten konfrontiert, die unter den Insassen der jüdischen Zwangswohnviertel in Polen um sich griffen. Selbst dass hinter der Deportation nach Auschwitz der Tod im Gas drohen würde, schien ihnen klar zu sein. Kernstück der Notizen ist der Eintrag vom 6. Februar 1943, in dem Rutka auf den 12. August des Vorjahres zurückblickt, als die Juden der Stadt zu Tausenden auf einen Sportplatz getrieben wurden. Die „Selektion“ zog sich über quälende Stunden und Tage hin. Viele Menschen wurden von dort direkt nach Auschwitz deportiert. Rutka gelang die nächtliche Flucht nach Hause.

Die Radiosendung stellt das Tagebuch von Rutka Laskier erstmalig einem deutschsprachigen Publikum vor. Neben Rutkas Halbschwester Zahava Scherz und Rutkas Schulfreundin Stanisława Sapińska kommt auch der Historiker Arno Lustiger zu Wort, der 1924 in Będzin geboren wurde und hier bis 1943 lebte. Über 65 Jahre nach dem Entstehen des Tagebuchs verbindet es noch einmal Generationen und Geschichten und macht Zeitgeschichte unmittelbar erlebbar.

MDR
Erstausstrahlung: 07.11.2010, 18:00 Uhr (MDR-Figaro)
Wiederholung: 18.01.2012, 00:05 Uhr (Deutschlandradio Kultur)

steffenmoratz@gmx.de

Zur Recherche

Reise nach Bedzin (Polen) und Tel Aviv (Israel); Interviews und Recherche vor Ort.

  • Autorenfoto Steffen Moratz
    Steffen Moratz arbeitet als freier Dramaturg und Regisseur im Hörfunk und als Autor.