René Frölke

Le beau danger

2014 | Film
Zum Werk

„Memory was the Mother of the Muses because she is the identical twin of Imagination; and what both of them mother is fictions.”
(String of Beginnings, Intermittent Memoirs 1924-1954, Michael Hamburger)

Nur noch schemenhaft lösen sich in der Dunkelheit die Umrisse des kleinen Wohnhauses aus der schwarzen Masse des Waldes. Der Autor ist allein in seinem Zimmer, das Summen des Rechners erfüllt den Raum, vermischt sich mit dem Hintergrundrauschen der draußen, hinter dem Vorhang der Nacht, verborgenen Grillen. Nach und nach erscheinen einige Sätze auf der weißen Leinwand; Sätze, die von dieser in jene Welt fallen. Es ist die Wiedererzählung einer Geschichte.

Etwas später, aber vielleicht ist es doch der gleiche Augenblick, erscheint der Autor auf einer Messe. Vor ihm das Publikum, wieder wird diese Geschichte erzählt, knapper hier; wieder tauchen die Sätze der geschriebenen Erzählung vor uns auf dem Schirm auf. Dieses Mal dehnt sich der Text weiter aus, die Messe, Blitzlichter und Menschen bleiben zurück. Für eine Weile sind wir alleine mit dem Text.

Auf die Frage eines Freundes, was er, der Exilierte, hier in der sogenannten neuen Welt suche, antwortete der Autor Norman Manea einst: Eine Höhle zum Verstecken. Die wirst du hier nicht finden, antwortete darauf der Freund. Und so kam es – ein Exil im Paradies, mit allen seinen Nebenwirkungen.

Eine Versuchsanordnung in Bildern, zwischen Literatur und filmischer Beobachtung. Die Frage: „Wo fängt die Fiktion an und wo endet die Erinnerung im Werk eines Schriftstellers?“ ist letztlich nicht zu beantworten. Dennoch bilden die starken autobiografischen Bezüge, die das gesamte Werk Norman Maneas durchziehen, die Grundlage dieser Zusammenstellung. Die Anordnung der Texttafeln und der Kamerabilder bleibt vage und brüchig. Zwischen der Beobachtung des öffentlichen Lebens des Schriftstellers und den Texten entstehen Widersprüche und es lassen sich vielschichtige Bezüge ableiten.

Mir scheint, als handele es sich bei der Grenze zwischen Fiktion und Erinnerung um eine, die ständig neu gezogen werden muss.

Konzept, Bild und Umsetzung: René Frölke
Produktion: joon film, Ann Carolin Renninger,
in Zusammenarbeit mit Faber Film (Italien)
Dauer: 103 Min.
Mono, 4:3, gedreht auf 16 mm SW/Farbe und MiniDV
Drehzeit: April-Oktober 2012
Drehorte nach ihrem Erscheinen im Film:
Bard College, New York / USA
Mohyliw-Podilskyj / Ukraine
Turin / Italien
Bukarest, Iasi, Suceava / Rumänien
Buenos Aires / Argentinien

Zur Recherche

"Norman Manea, 1936 in der Bukowina geboren, wurde 1941 mit seiner Familie deportiert. Er überlebte das Lager und war ab 1974 freier Schriftsteller in Bukarest. Seit 1986 lebt er in New York.“

„Diese Kurzbiografie, entnommen dem Klappentext der deutschen Ausgabe eines Romans, war einer der Ausgangspunkte zu diesem Film. Die Knappheit dieser Zeilen, der formale Widerspruch zum tatsächlichen Gesagten, faszinierte mich, und damit die Frage nach der Erzählbarkeit einer Biografie, vor dem Hintergrund eines Werkes, das wiederum selbst sehr starke biografische Grundzüge trägt. Ein Phänomen, das mir während der Dreharbeiten immer wieder als Realszene begegnete und das schließlich zu einem tragenden Element des Filmes wurde – die öffentliche Person und die Repräsentation des Schriftstellers.

Eine meiner Ideen für diesen Film war es, an die Orte der verschiedenen Lebensstationen zu gehen, nicht um eine Abbildung von Biografischen Fakten oder literarischen Texten zu erzeugen, sondern um tatsächlich nachzusehen, was heute an diesen Orten zu finden ist und dabei gleichzeitig filmisches Material zu erzeugen, das sich in ungebundener Form zusammen mit den Texten Norman Maneas arrangieren lassen würde. Einer der Orte an die ich ging, war Mohyliw-Podilskyj in der Ukraine. Die Stadt und deren Umgebung, in die die Familie Manea 1941 deportiert wurde und die Hintergrund mehrerer Geschichten Norman Maneas ist. Der selbe Ort bildet auch die Grundlage für Edgar Hilsenraths Roman 'Nacht' – ein Buch, dessen Eindrücke man unmöglich wieder abschütteln kann und das ich auch als Vorbereitung auf diese Reise las.

Ein Eindruck der Reise selbst, der mir sehr stark im Gedächtnis blieb, ist das Gefühl von Schwindel beim Blick hinab von der Höhe des Friedhofs, gelegen an einem der Hänge, die die Stadt umgeben, der zur einen Seite jüdisch, zur anderen christlich ist, hinab ins Tal und auf die kleine Stadt. Im Gegenlicht der untergehenden Sonne und im Rauch, der über dem Ort hing, verschwammen die schiefen Grabsteine des jüdischen Friedhofs vor mir, die selbst wie Behausungen wirkten, eine Stadt der Toten, mit der Stadt der Lebenden dahinter. Es war keine Grenze zwischen beiden zu erkennen und man konnte nicht sagen, wo der lebendige Teil endete oder begann und wo der tote. Es war alles eins.

Der Film ist letztendlich ein Versuch, Literatur und Film sich gegenseitig befragen zu lassen. Mir scheint, es ist auch eine Beobachtung, in der die Zerrissenheit unserer Zeit erkennbar wird. Eine Zerrissenheit, in der die Information zum Gegenspieler der Erfahrung und somit auch der Erinnerung wird.“

  • Grenzgänger
    René Frölke, 1978 in der DDR geboren, arbeitet seit mehreren Jahren als freiberuflicher Cutter und Kameramann. 2007 nahm er ein Studium der Medienkunst in Karlsruhe auf, was er 2012 abbrach. Seine letzte Arbeit als Schnittmeister war Thomas Heises...