Philip Scheffner

Havarie

2016 | Film
Zum Werk

Am 14.09.2012 um 14:56 Uhr meldet das Kreuzfahrtschiff „Adventure of the Seas“ der spanischen Seenotrettung die Sichtung eines havarierten Schlauchbootes mit 13 Personen an Bord. Aus einem Youtube-Clip und biografischen Szenen entsteht eine Choreografie, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Reisenden auf dem Mittelmeer spiegeln.

Die Koordinaten 37°28.6'N und 0°3.8'E markieren einen Punkt im Mittelmeer – 38 Seemeilen vor der Hafenstadt Cartagena in Spanien oder 100 Seemeilen von der algerischen Hafenstadt Oran entfernt – je nach Perspektive der Erzählung. Von diesem Punkt im Meer aus betrachtet, besteht die ganze Welt aus Wasser, Himmel und einem grenzenlosen Horizont. Ein „Meer der Möglichkeiten“, aufgeladen mit Hoffnungen, Ängsten und Träumen von Reisenden.

In Sichtweite.

90 Minuten.

Winken.

Warten.

Der Funkverkehr zwischen dem Kreuzfahrtschiff, der Zentrale im Hafen von Cartagena, dem Seenotrettungskreuzer „Salvamar Mimosa" und dem Helikopter „Helimer 211“ strukturiert den akustischen Raum des Films. Auf der Bildebene zieht sich der filmische Raum zu einer einzigen, ungeschnittenen Sequenz zusammen, die sich über die gesamte Laufzeit des Films wölbt. Es ist ein kurzer Youtube-Clip, der uns heute wie die Essenz, die Verdichtung der Situation auf dem Mittelmeer erscheint. In Einzelbildern wird das Schlauchboot mit 13 Gestalten an Bord zur Ikone der täglichen Nachrichtenbilder, wir sind gezwungen hinzusehen.

Aus Aufnahmen mit Touristen und Offizieren auf dem Cruise Liner, mit der Besatzung eines Containerschiffes, mit den „Harraga“, „bruleurs“ oder „die ihre Pässe verbrennen" und ihren Familien werden die biografischen Fluchtlinien des dokumentarischen Materials in eine filmische Imagination hinein verlängert.

Es entsteht eine Choreografie, in der sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Reisenden spiegeln: Wird ein anderer, ein neuer Möglichkeitsraum sichtbar, wenn sie sich erneut – im filmischen Raum – begegnen?

havarie.pong-berlin.de

info@pong-berlin.de

Zur Recherche

Algerien, Spanien, Frankreich, Nord-Irland
Zeitraum der Recherche: 2014/2015

Die beiden Recherchereisen nach Algerien, ermöglicht durch das Grenzgänger-Programm der Robert Bosch Stiftung, haben erheblich zum Erfolg des Projektes „Havarie“ beigetragen. Die erste Recherchereise stand für den Stipendiaten und die übersetzende Begleiterin unter dem Eindruck der ungeheuren Gastfreundschaft und Aufgeschlossenheit, die ihnen in Algerien von allen Projektmitarbeitern und ihren Familien entgegengebracht wurde. Dieser Eindruck setzte sich während der zweiten Reise fort, jedoch stand diese stark unter dem äußeren Einfluss der sich täglich verschärfenden Sicherheitslage. Insofern wurde von allen beteiligten eine starke Diskrepanz zwischen der projektinternen Stimmung (Gastfreundschaft, Professionalität, Verbindlichkeit, Offenheit) und den externen Umständen („aufgeheizte“ Stimmung, reale oder durch die algerischen Sicherheitsbehörden vermutete Bedrohungslage, bürokratische Hindernisse) empfunden.

  • Autorenfoto Philip Scheffner
    Philip Scheffner, geb. 1966 in Homburg/Saar, lebt und arbeitet als Künstler und Filmemacher in Berlin. Zusammen mit Merle Kröger, Alex Gerbaulet und Caroline Kirberg betreibt er die Produktionsplattform pong. Im Forum der Berlinale mit „Havarie“...